Editorial.

Liebe Leserinnen und Leser,

»Was machen Sie? Nichts. Ich lasse das Leben auf mich regnen.« Rahel Varnhagens berühmtes Zitat ziert bei mir ein Frühstücksbrettchen. Ausgerechnet dann, wenn der Tag richtig losgeht, hüpft bei mir auf einem nostalgischen Foto ein Mädchen mit vom Wind umgestülptem Regenschirm herum. Ob fröhlich oder ob des Sturms eher verzweifelt, vermag ich nicht zu sagen. Ihr Gesicht verschwindet hinter zerzausten Haaren.

Dass Nichtstun guttun kann, dass aber auch nichts tun können verzweifeln lässt und dass nichts tun aus Desinteresse andere verletzt und vom Leben abschneidet, das thematisiert in nachdenklicher Fülle dieses von Viera Pirker und Stephan Pruchniewicz besorgte Heft. Britta Baumert spannt den Bogen der individuellen wie gesellschaftlichen Bezugspunkte auf, Hermann-Josef Kracht entfaltet biblisch, wie religiöse Unterbrechung Struktur, Erholung und Beziehungsfähigkeit ermöglicht. Theresia Strunk erläutert aus psychologischer Perspektive das Nichtstun von Kindern und Jugendlichen. Karin Peter markiert die Ambivalenz von nichts tun können und nichts tun müssen und bietet einen theologischen Zugang zu Aktion und Passion. Was tun? Nichts? Unser Praxisteil versammelt Anregungen zu Gebet, Erholung, Auszeit, die im Licht der vorhergehenden Reflexionen auch Vertrautes neu aufscheinen lassen. Die zum Thema gehörende Bildserie zeigt Menschen, denen Gewalt widerfahren ist und denen Wiedergutmachung versagt bleibt, weil Institutionen, Kirchen, zuständige Behörden und verantwortliche Einzelpersonen nichts tun. Sie sollen wenigstens sichtbar sein.

Unser zweiter Heftteil bietet einen Einblick in das Feld der aktuellen Forschungs- und Praxisprojekte zur Förderung von Demokratiefähigkeit durch schulischen Religionsunterricht. Jan Hendrik Herbst als ausgewiesener Kenner stellt deren Grundlinien vor. Dazu passt die von Markus Tomberg vorgestellte Initiative des dkv, brandaktuelle Themen kurzfristig im »RUExpress« in die Schule zu bringen. Brandaktuell? Kurzfristig? Wie bekomme ich jetzt noch die Kurve zum Nichtstun …

Ich wünsche Ihnen Muße, Räume und Gelegenheiten, Ihren kurzfristigen und langfristigen, aktuellen und ewigen Fragen nachzugehen.

Rita Burrichter, Schriftleiterin