Auftakt.

Agnes Wuckelt

Marienbilder – Frauenbilder

Von Kirchenmännern zur absoluten Ausnahmefrau erhoben, ist sie unerreichbar für reale Frauen. Aber auch: Die biblische Maria mit einer äußerst ungewöhnlichen Biografie singt davon, dass Gott patriarchale Hierarchien außer Kraft setzt. Der Austausch über Sichtweisen und Erfahrungen gewinnt Fahrt Richtung Kirche und Lehramt.

Eine Frauengruppe hat sich für die Kräuterweihe am Fest Mariä Himmelfahrt zum Kräuterbuschen-Binden getroffen. Was soll dieses Fest? Mariologische Versatzstücke werden ausgetauscht. »Gott, du hast Maria über alle Geschöpfe erhoben und sie in den Himmel aufgenommen mit Seele und Leib«, heißt es in der Liturgie. »Die schönste aller Frauen« steht, geschmückt mit »Mond und Sternen«, »als Morgenröte am Himmel« (GL 531). Unendlich weit von uns hier unten entfernt, ein wirkmächtiges, auch ein Frauen ermächtigendes Bild?

Idealbild Maria

»Die Kirche […] wird heute von einigen Denkströmungen herausgefordert, deren Ideen oft nicht mit den genuinen Zielsetzungen der Förderung der Frau übereinstimmen« (VE 166, 1). Das Schreiben der Glaubenskongregation »Über die Zusammenarbeit von Mann und Frau« von 2004 bringt es exemplarisch für zahlreiche römische Verlautbarungen zum Ausdruck: Die »Frauenfrage« führt zu Entwicklungen, die das »wahre Frausein« verdunkeln, gar pervertieren und Schaden verursachen. Frauen bringen Sichtweisen des bisher Gültigen ins Spiel, denen entgegengewirkt werden muss. Insbesondere der »Genderismus« wie auch die Frage nach dem Priestertum der Frau machen es notwendig, die »Marien-Karte« zu ziehen. Maria ist das Vorbild, der Prototyp von Frau, den vor allem »die Haltung des Hörens, des Aufnehmens, der Demut, der Treue und des Lobpreises« auszeichnet (VE 166, 16). Anhand dieses Vorbildes kann die Frau entdecken, »wie sie ihr Frausein würdig leben und ihre wahre Entfaltung bewirken kann« (VE 75, 46). Papst Johannes Paul II. und ihm folgend Papst Franziskus sprechen vom »Genius der Frau«, der eine Vermenschlichung von Gesellschaft und Kirche bewirken kann, »welche durch die dank der Frauen neu entdeckten Werte Wirklichkeit wird« (VE 166, 13). Schließlich: Weil selbst Maria »nicht den eigentlichen Sendungsauftrag der Apostel und auch nicht das Amtspriestertum erhalten hat«, bleibt auch die Priesterweihe ausschließlich Männern vorbehalten (VE 117, 3).

Bildserie 1 Sam Jinks, Still Life (Pietà), 2007

Marienbilder im Wandel

Zahlreiche Marienlieder zeugen von einer stark emotional geprägten Verehrung der Gottesmutter: »Maria, dich lieben ist allzeit mein Sinn« (GL 521) oder »Meerstern, ich dich grüße, o Maria hilf« (GL 524). Es wäre anmaßend, sich über die Marienfrömmigkeit von Jahrhunderten und über die Frauen zu erheben, die sich an Maria gewandt haben oder immer noch wenden. In dieser Männerkirche war Maria, die Mutter mit dem Kind, für Frauen oft die Hoffnung, dass es wenigstens eine gibt, die sie in all ihren Nöten versteht. Es ist aber ebenso unangebracht, den tiefen Graben zu leugnen, der sich zwischen dem römisch skizzierten Bild der jungfräulichen Übermutter und den realen Frauen auftut.

Früher wie heute sind Marienbilder und Marienverehrung Spiegel- oder auch Wunschbilder der kulturellen, sozioökonomischen und religiösen Stellung von Frauen. Mit jeder Ausprägung eines Marienbildes wurden und werden weiterhin bestimmte Frauenbilder verbunden, begründet und legitimiert. Melden sich heute Frauen mit ihren Vorstellungen zu Wort, so stört das die marianisch begründete männlich-klerikale Idee der Frau. Um diese zu schützen und zu retten, wurde alles Menschliche an Maria so spiritualisiert, dass eine körper- und gefühllose Ikone von Frau entstanden ist. Erklärt zum überzeitlichen Wesen der Frau, ist sie »die Fülle der Vollkommenheit all dessen, ›was kennzeichnend für die Frau ist‹, dessen, was ›das typisch Frauliche ist‹« (VE 86, 5). Zwar wird betont, dass das Idealbild Maria Einstellungen beinhalte, »die jeden Getauften prägen sollten«, sich die Frau aber dadurch auszeichne, »dass sie diese Haltungen mit besonderer Intensität und Natürlichkeit lebt« (VE 166, 16).

Deutliche Kritik an der traditionellen Mariologie üben vor allem feministisch orientierte und gendersensible Theolog*innen seit Jahrzehnten und bringen neue Lesarten des Überlieferten ein. Die historisch reflektierte Auslegung der biblischen Grundlage macht die Differenz zwischen Text und Wirkungsgeschichte sichtbar. Das Neue Testament erzählt von einem jungen jüdischen Mädchen und einer glaubensstarken Frau, nicht von der Himmelskönigin. Das Bild der immerwährenden und reinen Jungfrau findet sich nur in der apokryphen Überlieferung. Die Gegenüberstellung von Eva als biblischer femme fatale und Maria als der sexuell enthaltsamen Jungfrau wird erst durch die Kirchenväter vorgenommen, wirkt aber bis heute. Dass Maria unerreichbar »oben« und Eva »unten« platziert wird, hat sich im konkreten weiblichen Leben allzu oft als verhängnisvoll erwiesen und vor allem das Verhältnis von Frauen zu ihrem eigenen Körper und ihrer Sexualität stark beeinflusst.

Die andere Maria

Mit der gesellschaftlichen Abkehr vom Bild »der Frau« im Singular und dem Aufkommen des Feminismus änderte sich auch das heutige Marienbild. Nicht länger wollen sich Frauen mit der schönen, aber sprachlosen Magd Maria identifizieren. Sie reagieren mit Widerspruch auf Defizite und Verformungen kirchlicher Theologie und Praxis und ein kirchlich problematisches Frauenbild. Mit dem neuen Blick in die Bibel und in die Religionswissenschaft wird die andere Maria sichtbar, die fast nichts von dem ist, was römische Dokumente als ideales Frauenbild skizzieren. Sie steht nicht im Hintergrund einer familiären Idylle, ist Mutter in einer Patchworkfamilie. Neben der starken Frau Maria kommt Josef, ihr Mann, nicht zur Geltung. Sie ist fromme Jüdin und Schwester im Glauben, als kraftvolle, prophetische und kritische Gestalt erkennbar. Die Frau Maria aus dem Volk gewinnt Vorbildcharakter durch ihre eigenständige und risikobereite Antwort auf die Zumutung göttlicher Inanspruchnahme.

Eine wichtige Legitimation dieses Marienverständnisses ist das Magnifikat, der Lobgesang Marias, den sie bei Elisabeth anstimmt (Lk 1,39–57). Lied und Begegnung der beiden Frauen stehen für eine starke Frauenfreundschafts-Geschichte, die durch biografische und glaubensgeschichtliche Solidarität bestimmt ist. Der Blick richtet sich auf ungerechte Gesellschafts- und Machtstrukturen und auf Möglichkeiten der Befreiung. Als Teil der Jesusbewegung setzt sich Maria gegen Armut und Ungerechtigkeit ein. Sie lebt von der subversiven Erinnerung an das machtvolle Wirken Gottes, die immer veränderndes Potenzial besitzt. Das »Ja« Marias kann daher als vertrauensvolles Sich-Einlassen auf den Ruf Gottes und als Bereitschaft zum Mitwirken am Reich Gottes verstanden werden.

Auf dem Weg der anderen Maria oder: Maria 2.0

»Warum nennt ihr euch eigentlich ›Maria 2.0‹?« Diese Frage steht plötzlich im Raum. Einige der Kräuterbuschen herstellenden Frauen gehören zur Bewegung und geben Auskunft. Sie sind geduldig ungeduldige Frauen, die noch in ihrer Kirche bleiben, sich aber mit der ihnen darin zugewiesenen Frauenrolle nicht mehr zufriedengeben. Sich nicht mehr den Mund verbieten lassen. Nicht mehr bereit sind, sich von Bischöfen als »nicht mehr katholisch« sanktionieren zu lassen, weil sie den Zugang zu allen Diensten und Ämtern fordern.

Anlass, »Maria 2.0« zu gründen, war die Veröffentlichung der MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Kleriker und die dadurch offenbar gewordenen Missstände in der katholischen Kirche im Jahr 2019. Eine Handvoll Frauen in Münster beschloss, zu handeln. Ihre Aufrufe zu Aktionen stießen auf breites Echo. Ein Netzwerk entstand, in dem sich all jene zusammenfinden, die die Veränderung der Kirche und ihrer Strukturen anstreben. »Maria 2.0« ist eine praktische Absage an ein katholisches Frauenbild, das Frauen über Jahrhunderte mit Verweis auf das römisch-klerikale Marienbild stumm gemacht hat. Es ist Absage an Erfahrungen von Gewalt und Demütigungen all derer, denen als Frauen oder als Menschen, die sich nicht in der binären Geschlechterordnung wiederfinden, religiöser Minderwert eingeredet wurde. Im Namen der anderen Maria, die das Lied der Befreiung singt, stehen Menschen auf zum Kampf gegen strukturelle Sünde, Unterdrückung und Missbrauch.

Als spiritueller Missbrauch ist auch der u. a. mit dem römischen Marienbild begründete Ausschluss von Frauen von der sakramentalen Weihe zu betrachten. Er ist deutlich als solcher zu benennen. Und im Gegensatz zum kirchlichen Lehramt kann Maria wegen des Magnifikats als Beginn einer Hoffnung auf mögliche andere Realitäten für Frauen identifiziert werden. Auch in unserer Kirche.

Dr. Agnes Wuckelt ist Professorin i. R. für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Katholischen Hochschule NRW, Abt. Paderborn. Sie ist stellv. Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd).

Literatur

Enzyklika Redemptoris Mater von Papst Johannes Paul II., Über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche, 25. März 1987 = VE 75.

Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem von Papst Johannes Paul II. über die Würde und Berufung der Frau anlässlich des Marianischen Jahres, 15. August 1988 = VE 86.

Apostolisches Schreiben von Papst Johannes Paul II. über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe, 22. Mai 1994 = VE 117.

Kongregation für die Glaubenslehre: Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt, 31. Juli 2004 = VE 166.