Editorial.

Liebe Leserinnen und Leser,

Tugend – als Erstes fällt mir ein, was mir Ingrid ins Poesiealbum schrieb: »Blüh’ wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und fein, nicht wie die stolze Rose, die nur bewundert will sein.« Und das ging mir schon damals in der vierten Klasse auf die Nerven, denn Ingrid hatte diese schönen langen Haare und ich sah mich weit entfernt von jeder begründbaren Möglichkeit zur Rosenhaftigkeit. Zweifellos ist es das beziehungslos Appellative, das an dieser Stelle so unerträglich und überholt erscheint.

In unserem Heft, das Matthias Bahr, Helga Kohler-Spiegel und Rainer Oberthür besorgt haben, erscheinen die Tugenden nicht als abstrakte Tugendhaftigkeit, sondern sehr konkret und im Plural. Reimer Gronemeyer macht als Soziologe aufmerksam darauf, dass Tugenden nicht einfach nur Haltungen der Einzelnen sind, sondern dass sie im Geflecht gesellschaftlicher und interpersonaler Beziehungen ihren Ort haben. Bei den Tugenden, mögen wir sie auch noch so oft in Reihenfolgen und Gruppen bringen oder tagesaktuell ergänzen, geht es immer ums Ganze! Rudolf Englert zeigt auf, dass eine tugendethische Ausrichtung der Moralpädagogik nicht nur Werte und Entscheidungen, sondern vor allem auch praktisches Tun und damit das Nachdenken über Wege zu einem geglückten Leben in den Blick nimmt. Die Reflexion von Kindern und Jugendlichen auf Tugenden als Haltung und Praxis befördern die materialreichen Praxisanregungen für die ganz unterschiedlichen Lernorte und Lerngelegenheiten in Schule und Gemeinde. Wie bedeutsam Ansätze einer tugendethischen Bildung gerade in der pluralen Gesellschaft sind, zeigt anschaulich der Beitrag von Tuba Isik zur islamischen Bildung.

Die Beiträge unseres zweiten Themenschwerpunkts stehen jeweils für sich. Dass sie sich so gut ergänzen wie dieses Mal, ist nicht die Regel, liegt aber bei den »Local Heroes« besonders nah. Hans Mendl ordnet das Feld des Lernens an fremden Biografien didaktisch und pädagogisch ein. Unterrichtsnahe Bezugnahmen regen die eigene Praxis an.

Was brauchen wir an Tugenden gerade jetzt? Machen wir die Hoffnung groß – mit Gottes Hilfe!

Rita Burrichter, Schriftleiterin